Jean Piaget, ein renommierter Schweizer Entwicklungspsychologe, hat maßgeblich zur Verständnis der kognitiven Entwicklung bei Kindern beigetragen. Seine Theorie unterteilt die Entwicklung in verschiedene Stadien, die ein Kind durchläuft, während es wächst und lernt. Besonders relevant für die vorliegende Fragestellung sind das präoperationale Stadium (ca. 2–7 Jahre) und das Stadium der konkreten Operationen (ca. 7–11 Jahre).
Im präoperationalen Stadium denken Kinder oft egozentrisch, was bedeutet, dass sie Schwierigkeiten haben, die Perspektiven anderer zu verstehen. Ihr Denken ist stark von unmittelbaren Erfahrungen und Sinneseindrücken geprägt. Moralische Konzepte sind noch nicht abstrahiert; stattdessen verstehen sie Regeln oft als starre Vorgaben ohne tieferen Sinn.
Mit dem Übergang zur konkreten Operationalphase entwickeln Kinder die Fähigkeit, logisch über konkrete Ereignisse nachzudenken. Sie beginnen, moralische Prinzipien wie Fairness zu verstehen und Regeln nicht nur als von Autoritäten auferlegt, sondern auch im Kontext von Gerechtigkeit und Gleichberechtigung zu betrachten.
Bei der Untersuchung der Antworten von Kindern im Alter zwischen 6 und 12 Jahren auf die Frage, warum man in der Schule nicht von anderen abschreiben dürfe, lassen sich klare Unterschiede zwischen den beiden Entwicklungsstadien erkennen.
Antwort | Kognitives Stadium | Begründung |
---|---|---|
A. „Es ist nicht gerecht, dass sie die gleiche Note haben. Er muss es selbst finden.“ | Konkrete Operationen | Spiegeln ein Verständnis von Fairness und individueller Leistung wider. |
B. „Die Lehrerin bestraft uns.“ | Präoperationale Phase | Fokus auf Autorität und Strafe als Motivation zur Regelbefolgung. |
C. „Das ist hässlich, man wird bestraft.“ | Präoperationale Phase | Nicht-invasive Beschreibung der Konsequenzen ohne tieferes moralisches Verständnis. |
D. „Weil das schlimm ist.“ | Präoperationale Phase | Vage Erklärung ohne spezifische Bezugnahme auf Regeln oder Autoritäten. |
E. „Das Kind hätte nicht abschreiben dürfen. Wenn es aber nicht gescheit war, durfte es das ein wenig.“ | Konkrete Operationen | Verbindet Regelbrechung mit situationaler Flexibilität und Verständnis der Umstände. |
Die Antworten B, C und D sind typisch für Kinder, die sich noch in der präoperationalen Phase befinden. Diese Kinder neigen dazu, Regeln als von Autoritäten festgelegt und unveränderlich wahrzunehmen. Ihre Motivation, Regeln zu befolgen, basiert hauptsächlich auf der Angst vor Strafen oder dem Wunsch, negative Konsequenzen zu vermeiden.
Im Gegensatz dazu zeigen die Antworten A und E Anzeichen eines weiter entwickelten moralischen Verständnisses, das mit dem Stadium der konkreten Operationen einhergeht. Diese Kinder können komplexere moralische Überlegungen anstellen, wie etwa Gerechtigkeit und die Berücksichtigung individueller Umstände.
In der präoperationalen Phase ist die Autoritätsperson eine zentrale Figur im Verständnis von Regeln. Kinder akzeptieren Regeln aufgrund der Präsenz einer Autorität, wie Eltern oder Lehrer, nicht unbedingt aufgrund einer intrinsischen moralischen Überzeugung. Die Angst vor Strafe oder die Erwartung von Belohnung sind starke Motivatoren, die Verhalten steuern.
Kinder in der präoperationalen Phase sind stärker extern motiviert. Sie folgen Regeln, weil sie von außen auferlegt werden und Verhaltensänderungen durch Belohnungen oder Strafen beeinflusst werden. Im Gegensatz dazu bewegen sich Kinder im Stadium der konkreten Operationen hin zu einer internen Motivation, bei der moralische Überlegungen und das Verständnis von Fairness eine größere Rolle spielen.
Der Übergang von der heteronomen zu einer autonomen Moral markiert einen wichtigen Schritt in der kognitiven Entwicklung. Während in der präoperationalen Phase die Moralität stark an äußeren Regeln und Konsequenzen festgemacht wird, entwickeln Kinder im Stadium der konkreten Operationen ein eigenes Verständnis von Gerechtigkeit und Fairness.
Frauen in der konkreten Operationsphase erkennen, dass Regeln modifiziert werden können, um gerechtere Ergebnisse zu erzielen. Sie beginnen zu verstehen, dass Gleichheit nicht immer Gerechtigkeit bedeutet und dass individuelle Umstände berücksichtigt werden sollten.
Ein tiefes Verständnis für die kognitiven und moralischen Entwicklungstadien von Kindern ermöglicht es Pädagogen, effektivere Lehrmethoden und Regelwerke zu gestalten. Indem sie die Bedürfnisse und das Verständnisniveau der Kinder berücksichtigen, können Lehrer Strategien entwickeln, die sowohl die Einhaltung von Regeln fördern als auch das moralische Denken der Schüler weiterentwickeln.
Für Kinder in der präoperationalen Phase sollten Regeln klar und konsequent kommuniziert werden, mit einem Fokus auf die Vermeidung von negativen Konsequenzen. Gleichzeitig können Lehrer beginnen, die Grundlagen von Fairness und Gerechtigkeit einzuführen, um den Übergang zur autonomen Moral zu erleichtern.
Die Untersuchung der Antworten von Kindern auf Regelverstöße zeigt deutlich die Kluft zwischen der präoperationalen Phase und dem Stadium der konkreten Operationen gemäß Piagets Theorie. Kinder, die sich noch in der präoperationalen Phase befinden, neigen dazu, Regeln aus einer Perspektive der Autorität und Konsequenz zu betrachten, ohne ein tiefgehendes Verständnis von Moralität und Fairness zu entwickeln. Das Verständnis dieser Entwicklungsstadien ist entscheidend für die Gestaltung von Bildungsstrategien, die das moralische und kognitive Wachstum von Kindern fördern.